Gängige ESG-Strategien vernachlässigen die soziale Komponente
EU-Taxonomie, Offenlegungsverordnung und CRREM-Pfad sind nur einige Regelwerke, die eingeführt wurden, um die Nachhaltigkeitsprinzipien der Vereinten Nationen (UNPRI) im Bereich der Immobilienwirtschaft umzusetzen.
Eine ESG-Strategie ist daher Kernbestandteil in den Strategiepapieren der Marktakteure. Zudem legen vor allem europäische Investoren zunehmend Wert auf die Einhaltung der ESG-Kriterien.
Eine ganze Reihe an Bewertungen wurden entwickelt, um die Ziele messbar zu machen. Einen guten Überblick bietet die von PRI, INREV und ULI gemeinsam erstellte Übersicht „Mapping ESG – A Landscape Review of Certifications, Reporting Frameworks and Practices“.
Diese hat die weltweit gängigen Systeme gescreent und die gängigen Analysen gegenübergestellt. Auffällig, aber nicht überraschend, ist, dass ein Großteil der Verfahren die ökologische Nachhaltigkeit auswertet (E). Etwas seltener wird auch die Unternehmensführung (G) analysiert. Die Bewertung sozialer Aspekte (S) führt bislang ein Nischendasein.
Das „S“ in ESG führt Nischendasein, hat aber eigentlich einen großen Wert, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.
Während ökologische und Governance-Aspekte gut zu beschreiben und bewerten sind, ist die soziale Ebene verhältnismäßig komplex. Komponenten, die sich auf den Faktor Mensch an seinem (Logistik)-Arbeitsplatz beziehen, sind komplex. Sie beziehen sich auf:
- die inneren Qualitäten der Halle, z. B. die Aufenthaltsbereiche wie Pausenräume oder Kantinen
- den Mikrostandort, also im Wesentlichen das Grundstück selbst
- den Mesostandort bzw. das Gewerbe- oder Industriegebiet, in der die Logistikimmobilie liegt
Abbildung 1: Titelblatt der Vergleichsstudie „Mapping ESG“ von PRI, INREV und ULI
In den Innenbereichen von Logistikhallen gibt es bereits Ansätze zur Steigerung der Sozialqualität.
Das Wohlbefinden von Mitarbeitern in den Immobilien zu steigern, ist ein Kernelement der ESG-Prinzipien. In einigen Assetklassen, z. B. Büro und Wohnen, gibt es durchaus einige Standards oder Herangehensweisen wie das „Wellbeing“-Zertifikat. Bei Logistikimmobilien sind diese Standards bisher spärlich definiert. Dabei gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die sozialen Standards zu heben. Gesundheitlicher Arbeitsschutz, um die körperlichen Belastungen zu reduzieren oder soziale „In-House-Angebote“, um die periphere Lage der Immobilien gegenüber Büroimmobilien auszugleichen, sind Ansatzpunkte. Allerdings sind die spezifischen Bedürfnisse dieser Mitarbeiter bislang nicht ausreichend transparent aufgearbeitet wie in anderen Berufsgruppen. Zwar gibt es dezidierte Anforderungen aus ESG-Gesichtspunkten, die Standards sind hier aber ggf. höher formuliert, als mitunter tatsächlich benötigt.
Zur Steigerung der sozialen Qualität im Innenbereich der Hallen werden häufig bereits folgende Aspekte umgesetzt:
- Sozialräume mit Duschen und Essbereich
- Tageslichtbasierte Beleuchtungsaspekte für die Bürobereiche
- Tageslicht- und bewegungsorientiertes Beleuchtungskonzept (LED) in Hallenbereichen
Soziale Qualitäten können auch im Außenbereich geschaffen werden
Die Aufwertung der Aufenthaltsqualität rund um die Halle kann zu einem höheren Wohlbefinden der Mitarbeiter der Logistikimmobilie führen. Nicht immer sind dies Maßnahmen, die sich direkt an die Menschen richten.
Mittelbar positiv auf die Aufenthaltsqualität wirken auch ökologische Maßnahmen. Typische Merkmale sind hier:
- Ökologische Inwertsetzung, beispielsweise durch Lebensräume für Insekten in Steinmauern, Insektenhotels, Vogelnistkästen, Wildblumenwiesen usw.
- Teichanlagen/Sickermulden zur Schaffung eines Biotops und Rückführung von Regenwasser zu Grundwasser
- Pausenbereiche im Grünen mit Sitzgelegenheiten und Sonnenschutz
- Überdachte Fahrradstellplätze mit Lademöglichkeiten
- Ladesäulen für E-Autos
- Steigerung des Wohlfühlfaktors durch attraktive Fassadengestaltung mit Holz und Glas
Diese Maßnahmen steigern allesamt die Aufenthaltsqualität, auch wenn es hierfür noch keine standardisierten messbaren Faktoren gibt.
Methodischer Ansatz für ein Tool zur Quantifizierung der Qualität des Versorgungsgrades im Umfeld
Neben Logistikzentren selbst sowie ihrem unmittelbaren Standort, wird die Qualität des Standortes auch durch das erweiterte Umfeld der Halle bestimmt. Die Wertigkeit des Arbeitsplatzes bemisst sich hier durch Vielfalt, Qualität und Erreichbarkeit von Angeboten, die das Wohlbefinden der Mitarbeiter steigern. Durch die häufig periphere Lage von Logistikzentren in Gewerbe- und Industriegebieten ist der Arbeitsweg meist weiter als für andere Berufstätige. Zudem arbeiten Logistikmitarbeiter häufig in Schichtsystemen und haben dadurch weitere Nachteile. Um ein langfristig nachhaltiges Investment zu gewährleisten, ist es daher notwendig, Faktoren zu bestimmen, die langfristig (nahezu) unveränderbar sind. Hierzu gehört die Anbindung an den ÖPNV, die Möglichkeiten die täglichen Bedürfnisse zu erfüllen – z. B. mit Mittagstischen oder Restaurants/Imbissen/Kantinen. Auch Lebensmittelgeschäfte, Drogerien oder gar Kinderbetreuung sind wichtig, um Logistikmitarbeitern auch vor diesem Hintergrund ein sozial ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeitsstelle und Lebensqualität zu ermöglichen.
Die genannten Aspekte stehen nur für einige der Komponenten, um die soziale Nachhaltigkeit zu bestimmen. Wichtig ist, diese nachvollziehbar zu quantifizieren und keine subjektiven Einschätzungen zu verwenden. Dies wird besonders dann wichtig, wenn die Prüfung regelmäßig durchgeführt werden soll. Zwar unterliegen diese Faktoren keinen regelmäßigen, starken Veränderungen. Im Zuge eines typischen Investmentzyklus kann jedoch neue Infrastruktur entstehen. Auch Versorgungsmöglichkeiten kommen hinzu oder werden eingestellt. Immobilienstandorte, die beim Ankauf über eine hohe soziale Standortqualität verfügten, können im Zeitverlauf von beispielsweise zehn Jahren schleichend und graduell an Qualität verlieren. Hier müssen rechtzeitig Strategien zum Umgang entwickelt werden. Mit passenden Geodaten und Auswertungssystemen ist dies heutzutage einfach und schnell umsetzbar – entsprechendes Know-how vorausgesetzt. Zur Quantifizierung der sozialen Aspekte werden zumeist die fußläufige Distanz, Quantität und Qualität der Angebote um einen Radius zur Logistikhalle ermittelt. Ein Bewertungsschema kann daraus einen Wert ohne jegliche subjektive Verzerrung berechnen.
EINE VOLLUMFÄNGLICHE ESG-STRATEGIE BEZIEHT BEWUSST DIE SOZIALEN FAKTOREN MIT EIN.
Die soziale Standortkomponente steht bei vielen Investoren bislang nicht ganz oben auf der Agenda, vielleicht auch, weil hier kaum Bewertungsansätze vorhanden sind. Ein Ausblenden dieses Faktors kann sich jedoch als nachteilig herausstellen, denn eine vollständige ESG-Strategie schließt auch die Sozialkomponente bewusst mit ein. Bei Logistikimmobilien bedeutet dies auch zwingend die Standortqualität vor dem Hintergrund der Qualität für die Mitarbeiter – gerade vor dem stetig an Bedeutung gewinnenden Fachkräftemangel.
Da hier nur wenige Ansätze vorhanden sind, engagiert sich GARBE gemeinsam mit anderen Marktakteuren in der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung gif e. V. zur Definition eines Standards in der Herangehensweise. Gleichzeitig werden die Ansätze bereits in hauseigenen Tools getestet und entwickelt.