Die Evolution der Logistikimmobilie
Die vergangene Pandemie und der Ukraine-Krieg haben gezeigt, wie fragil sowohl Lieferketten als auch Energieversorgung sind
Die Lieferkettenprobleme wurden mit erhöhter Lagerhaltung sowie Re- und Nearshoring-Strategien bekämpft. Der Druck auf die ohnehin knappen Flächen und Grundstücke wurde damit erhöht. In der Energiepolitik musste in kürzester Zeit die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl reduziert werden. Als kurzfristige Lösung wurden LNG-Terminals realisiert, die dieses Ziel grundsätzlich erreicht haben. Ein nachhaltiger Ansatz sieht aber anders aus. Das Ziel, sich bis 2035 vollständig regenerativ mit Energie zu versorgen, wird dadurch nicht erreicht. Logistik- und Industrieimmobilien könnten mit ihren enormen Dachflächen durch die Produktion von Solarstrom einen gewaltigen Hebel darstellen. Statt pragmatisch und zielorientiert dieses Potenzial auszuschöpfen, werden die Ambitionen nach wie vor von bürokratischen und regulatorischen Fallstricken ausgebremst. Dabei zeigen die ESG-Strategien der Immobilienwirtschaft, dass sie hoch motiviert sind, ihren Anteil zur Umsetzung der Energiewende beizutragen.
Neben dem Flächen- und Energiemangel gibt es eine ganze Reihe weiterer Problemfelder in der deutschen Wirtschaft. Die Digitalisierung kommt nur schleppend voran. Und auch der Industrie steht eine Mammutaufgabe bevor, indem sie sich auf den Energieträger Wasserstoff ausrichten muss. In einer visionären Herangehensweise könnten Logistikimmobilien bzw. deren Standorte neben Distribution und Fotovoltaik neue Funktionen aufnehmen und so einen wirksamen Teil bei der Lösung dieser Problemfelder darstellen. Die Verringerung der Flächenversiegelung, Erhöhung der Versorgungssicherheit und Katalysator beim notwendigen Umbau des Wirtschaftsstandortes Deutschlands wären die Resultate. Eine spürbare Erhöhung der Breitbandkapazitäten und die Produktion von Wasserstoff wären dabei inkludiert.
Als finale Evolutionsstufe wäre es dann keine Logistikimmobilie mehr, sondern vielmehr eine Infrastrukturimmobilie, die weitaus mehr leistet als nur die Distribution des Güterflusses.
Über welche Funktionen diskutieren wir in dieser Vision?
1. Distribution als Lebensader der Wirtschaft
Der klassische Kernauftrag einer Logistikimmobilie samt allen Spielarten der Dienstleistungstiefe inklusive einzelnen Produktionsstufen in der Wertschöpfungskette bleibt auch weiterhin ein prägendes Merkmal. Der Bedarf wird durch das florierende Brot-und-Buttergeschäft, Wiedererstarken des E-Commerce-Trends samt vollflächiger Quick-Commerce-Angebote sowie in Gang gesetzter Re- und Nearshoring-Strategien zur Minimierung von Abhängigkeiten weiter zunehmen.
2. Massenhaft Solarstrom zur Umsetzung der Energiewende
Das Potenzial für Fotovoltaik auf den Logistik- und Industriedächern Deutschlands ist enorm. Dennoch kommt der Ausbau nicht richtig in Fahrt. Die Gründe sind vielfältig und zu umfangreich, um in diesem Artikel thematisiert zu werden. Neben den Dächern werden auch Fassadenelemente verstärkt ins Visier genommen. Noch ist diese Art der Energieerzeugung nicht sehr effektiv, aber der technische Fortschritt wird sich auch hier niederschlagen. Die Produktion von Solarstrom wird weiterhin an Relevanz zunehmen und zum Regelfall werden – wenn die Hürden konsequent abgebaut werden.
3. Durch zusätzliche Windkraftanlagen werden Logistikimmobilien zu Kraftwerken
Regenerative Energieproduktion bezieht sich in Deutschland zumeist auf Fotovoltaik oder Windkraft. Nicht nur der Ausbau von Fotovoltaik stottert, auch das Windkraftpotenzial wird aktuell kaum ausgeweitet. Verheerend, wenn der Strombedarf bis 2045 drastisch um 43 % auf rund 1.000 Terawattstunden ansteigen wird. Logistikimmobilien spielen bislang bei Windkraft kaum eine Rolle. Denn bei Windenergie wird stark auf die üblichen Anlagen mit Rotoren gesetzt, die mit der Logistikimmobilie nur schlecht vereinbar sind. Unter anderem die Abstandsregelungen, Schlagschattenwürfe und Lärmemissionen verhindern dies. Logistikimmobilien mit ihren langen und vergleichsweise hohen Fassaden können jedoch an anderer Stelle bei Windenergie punkten. Da sich mehrgeschossige Immobilien immer mehr durchsetzen werden, wird die Höhe und damit das Potenzial eher noch zunehmen. Denn an den Fassaden entstehen Aufwinde, die durch neuartige Walzen-Anlagen aufgefangen und in Strom umgewandelt werden. Die neuartigen Generatoren werden an den Traufkanten der Immobilien montiert, sodass sie die PV-Anlagen auf dem Dach kaum beeinträchtigen. Zwar sind diese Modelle noch Prototypen, besitzen aber das Potenzial, die Bedeutung der Logistikimmobilie als Kraftwerk zu erhöhen.
4. Batteriespeicherung als Lösung des „Grundlastdilemmas“
Spätestens wenn die letzten fossilen Kraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden und die Energieproduktion vollständig regenerativ erfolgt, kann es schnell zu einem Grundlastproblem kommen. Denn nicht immer scheint die Sonne oder gibt es genügend Wind, um jeden Tag rund um die Uhr die im Netz benötigte Energie zu erzeugen. Batteriespeicher können hier eine Lösung darstellen und gewährleisten, dass zum einen regenerativ maximal produziert werden kann und keine Anlagen mehr still stehen muss, da die Aufnahmekapazität der Netze erschöpft ist. Zum anderen kann so auch in den sonnen- oder windarmen Monaten bzw. Tageszeiten genügend Energie bereitgestellt werden. Der elektrifizierte Individual- und Schwerlastverkehr wird immer mehr Stromkapazitäten benötigen. Daher werden Batteriespeicher zur Lösung des Grundlastdilemmas unabdingbar. Erste Batteriespeicheranlagen sind in Deutschland bereits im Bau, weitere Anlagen werden folgen. Logistikanlagen entwickeln sich zunehmend zu kleinen Kraftwerken in einem dezentralen Stromnetz. Sie können die Nutzer bzw. das Quartiersumfeld mit der hier produzierten Energie versorgen. Überschüssige Energie könnte hier direkt gespeichert und Stromverluste durch lange Leitungswege vermieden werden. Logistik-Kraftwerke inklusive Batteriespeicher werden somit zu einem wesentlichen Bestandteil, um die Energiewende tatsächlich stemmen zu können.
5. Wasserstoffproduktion als Eckstein zur Umsetzung des „Green Deal“
Politik und Unternehmen streben eine zunehmend nachhaltig durchgeführte Produktion in Deutschland und Europa an. Der Einsatz von grünem Wasserstoff – z. B. bei der Stahlproduktion – ist dabei wesentlicher Hebel. Bei der Herstellung des Wasserstoffs wird jedoch viel Energie benötigt und erzeugt dabei Abwärme. Die zukünftigen Lkw-Flotten werden vermutlich zu größeren Teilen mit Brennstoffzellen angetrieben. Es bietet sich an, die Energieproduktion auf Logistikimmobilien mit der Wasserstoffproduktion direkt zu kombinieren, da hier die Produktionsfaktoren unmittelbar auf Abnehmerstrukturen treffen. Nicht verwendeter Wasserstoff kann an die umgebenden Produktionsbetriebe oder kommunale Abnehmer abgegeben werden. Ein teilweise oder zukünftig vollständiges Einleiten in Erdgas- oder Wasserstoffleitungen kann ebenso erfolgen. Die Kombination von Logistikanlagen mit Wasserstoffproduktion kann die ambitionierten Ziele des von der EU angestrebten „Green Deals“ bzw. der EU-Wasserstoffstrategie wirksam unterstützen.
6. Logistikanlagen als Mobilfunkantennen stopfen die Löcher in der Breitbandversorgung
Die Digitalisierung schreitet mit enormem Tempo voran. Wichtige Stichworte sind hier Industrie 4.0, Digitalisierung der Automobilbranche sowie E-Commerce inklusive flächendeckender Quick-Commerce-Konzepte. Auch für Logistik- und Industrieimmobilien wird es immer wichtiger, über Hochgeschwindigkeitsanbindungen zu verfügen. Denn die autonom betriebene Mobilität wird mittelfristig Realität und auch die Logistik stark beeinflussen. Bereits heute besteht ein eklatanter Mangel an Lkw-Fahrern – Tendenz steigend. Daher wird die autonome Fortbewegung allein aus diesem Grund zwingend. Autonomes Fahren ist jedoch sehr datenintensiv und Deutschland ist ungenügend darauf vorbereitet, die benötigten Bandbreiten darzustellen. Dies auch, weil der Ausbau von Glasfaser sehr tiefbaulastig und damit langsam und teuer ist. Schneller und wirkungsvoller könnte hier der umfassende Ausbau von modernen Mobilfunktechnologien sein. Geeignete Standorte für die benötigten Antennen zu finden, gestaltet sich jedoch immer schwieriger. Logistikimmobilien können auch hier an bislang unterversorgten Standorten eine Alternative darstellen. Die Dachflächen können um Mobilfunkmasten ergänzt oder bei hohen Immobilien direkt montiert werden. Die Logistikhalle würde in diesem Verständnis quasi eine Mobilfunkantenne. Das umfassende Netz von Logistikimmobilien auch an dezentralen Standorten könnte vor allem die Breitbandversorgung in der Versorgung der Gegenden abseits der Kernstädte unterstützen.
7. Logistikimmobilien für Bits und Bytes – Rechenzentren dringend benötigt
Neben der beschriebenen Digitalisierung in der Wirtschaft forciert auch die gestiegene Nachfrage bei Videotelefonie und Streamingdienstleistungen den Bedarf an Rechenzentren. Denn zur Umsetzung der dringend benötigten Digitalisierung ist nicht nur der Transport von Datenpaketen notwendig, sondern auch die Verarbeitung dieser Daten in Rechenzentren. Aus Gründen der Sicherheit oder zur Minimierung der Latenzen werden diese auch in Deutschland dringend in größeren Stückzahlen notwendig. Die für Rechenzentren benötigten Grundstücke ähneln denen der Logistikimmobilie frappierend. Die Problemlagen allerdings auch. Besonders Flächen- und Stromkapazitäten sind bei beiden Immobilientypen häufig Mangelware. Ein Grund mehr, beide Nutzungsarten zu kombinieren und die Flächenversiegelung zu reduzieren. Die auf Logistikimmobilien produzierte Energie könnte direkt in die Rechenzentren eingespeist werden. Güter- und Datentransporte erfolgen in dieser Kombination Hand in Hand.
8. Kein Abfall, sondern dringend benötigte Ressource – Fernwärme
Viele Gebäude in Gewerbelagen produzieren quasi als Abfallprodukt Wärmeenergie. Die drohende „Gas-Mangellage“ hat vergangenes Jahr jedoch aufgezeigt, dass dringend Alternativen zur Gas-Heizung benötigt werden. Daher gilt es, die Wärmepotenziale durch Fernwärmekonzepte besser auszunutzen. Sofern die Wasserstoffproduktion durch Elektrolyseure immer stärker ausgerollt wird und auch bei Logistikanlagen anzutreffen ist, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die Abwärme dieser Anlagen nicht direkt mitgeplant und zur Versorgung des umgebenden Quartiers genutzt wird. Gleiches gilt für Rechenzentren.
PODCAST
Hören Sie mehr zu diesem spannenden Thema in unserem Podcast Logistics Real Estate Insights. Hier diskutierten Tobias Kassner und Jan Dietrich Hempel über dieses Thema und stellten sich die Frage, inwieweit Logistik- und Industrieimmobilien einen positiven Beitrag zur aktuellen Situation leisten können.
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Ist das noch eine Logistikimmobilie oder schon eine Infrastrukturimmobilie?
Es ist nicht davon auszugehen, dass in Kürze sämtliche Logistikimmobilien über all die oben beschriebenen Merkmale verfügen. Einige Techniken sind noch im Prototypenstadium. Und auch aus wirtschaftlicher, baurechtlicher, steuerrechtlicher oder technischer Hinsicht gibt es viele der „typischen“ Hindernisgründe. Sinn würde die Bündelung diverser Funktionen bei der Logistikimmobilie aber aus ähnlich vielen Gründen machen. Allen voran würde einer der bisherigen Hauptvorwürfe gegenüber Logistikimmobilien – der Flächenfraß – relativiert werden. Statt an vielen verschiedenen Standorten die einzelnen Infrastrukturen zu errichten, werden diese nach Möglichkeit an einem Standort gebündelt. Die bisherige Hauptnutzung Logistik bleibt weiterhin vorhanden, tritt aber angesichts der weiteren Nutzungen ein Stück weit in den Hintergrund. Neben Gütern und Paketen werden aber auch Elektronen und Bits und Bytes transportiert. Viel mehr noch als Kapital wird der Wille aller Stakeholder notwendig sein, um eine solche Vision einer „Infrastrukturimmobilie“ zu realisieren. Der Veränderungsdruck für einen zügigen Wandel des „Mindsets“ ist jedoch vorhanden.